著者
田中 岩男
出版者
日本独文学会
雑誌
ドイツ文学 : Neue Beitrage zur Germanistik (ISSN:03872831)
巻号頁・発行日
no.133, pp.167-183, 2007-10-15

In einigen bedeutenden Faust-Kommentaren und -Forschungen der letzten Jahre, wie bei A. Schone, U. Gaier und J. Schmidt, ist auf die Besonderheit von Goethes Faust hingewiesen worden. So macht Gaier auf die Vieldimensionalitat des Textes aufmerksam, der viele Perspektiven als Sinnschichten in rich enthalte, und fuhrt demnach sieben thematisch verschiedene "Lesarten" vor. Dieser neue Ansatz ist bemerkenswert, ihm fehlt jedoch fast ganz der Blick auf das Scherzhafte als konstitutives Element des Textes, was auch bei Schone und bei Schmidt der Fall ist. Goethe hat in seinem letzten Brief an Humboldt den Faust als "diese sehr ernsten Scherze" bezeichnet, und ein Paralipomenon zum "Vorspiel auf dem Theater" lautet : "Und wenn der Narr durch alle Szenen lauft, /So ist das Stuck genug verbunden." Mit dem "Stuck" ist selbstverstandlich Faust selbst gemeint, und der "Narr" kann nur Mephisto sein. Goethe erteilt dem Narren Mephisto die Aufgabe, das Ganze zusammenzuhalten. Wenn man Mephisto als Narren und das Scherzhafte fur den Faust als konstitutiv auffasst, werden neue Horizonte der Faust-Interpretation eroffnet. Im vorliegenden Aufsatz soll herausgearbeitet werden, dass gerade die narrenhafte Perspektive der "ernsten Scherze" die Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit des Textes bewirkt und zugleich das ganze Stuck zusammenhalt. Als Hintergrund des Narren Mephisto sind einige Elemente zu nennen : die komische Tradition des Faust-Stoffes im Volksbuch und Puppenspiel, die nahe Verwandtschaft des "Urfaust" mit Farcen und Schwanken, die teuflische Herkunft des Narren im geistlichen Spiel des Mittelalters und vor allem die Tradition der barocken Theaterkunst, der geistlichen Buhne und der Commedia dell'arte. Als Herkunft des Narren Mephisto kann man nicht eine einzige benennen, da hier verschiedene komische Traditionen miteinander verschmelzen. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass sich Goethe gerade in den Jahren um 1800 des Narren Mephisto methodisch bewusst wurde, als er drei Prologe zum Faust konzipierte. Worter wie Scbalk, Narr und Narrbeit usw. werden erst in den um 1800 entstandenen Textpartien bewusst konstitutiv verwendet. Die 'Lustige Person' des "Vorspiels", die vom gleichen Darsteller wie Mephisto zu spielen ist, fordert, auch "der Mitwelt SpaB" zu machen, und behauptet, dass das Theater "nicht ohne Narrheit" sein solle. Wenn Mephisto im "Studierzimmer" I (auch um 1800 entstanden) sich selbst als einen Teil von jener Kraft definiert, die "stets das Bose will und stets das Gute schafft", da scheint er sich seiner Rolle als "Schalk" bewusst zu sein, den Menschen, diese "kleine Narrenwelt" zu reizen. Immerhin ist er die einzige Gestalt innerhalb der eigentlichen Faust-Tragodie, die da auftritt und sie zugleich transzendiert. Mephisto, der als Narr "durch alle Szenen lauft", ist auch im "Prolog im Himmel" mit dabei, bleibt allein und spricht ein letztes desillusionierend-ironisches Wort, das man sich ad spectatores gerichtet denken muss, -eine Geste, die er wahrend des ganzen Dramas noch so oft wiederholt. Wir werden damit an den Spielcharakter auch dieser Szene erinnert. Durch Mephistos narrenhaften Gesichtspunkt wird auch der "Himmel" zur "Welt des Theaters" gehoren, wie Gustaf Grundgens meint. Auch in der "Grablegung", die zusammen mit der Bergschluchten-Szene eine Art Epilog bildet, spielt Mephisto den Narren und schlieBt das ganze Drama ab. Da wird er mit seinen eigenen Waffen geschlagen : Uber der absurden Liebschaft zu den Engeln wird ihm Fausts Seele, "ein groBer, einziger Schatz", weggenommen, und er kann nur seine 'Torheit des Klugerfahrnen' fluchend verspotten. Ist ubrigens die Welt des Theaters, angefangen mit der Wette zwischen dem Herrn und Mephisto im Himmel, d.h. die eigentliche Faust-Tragodie, als Welttheater im Sinn von Calderon zu verstehen? Nein, die Comoedia divina ist nur ein "Struktur-Zitat" und eine paradoxe Einrichtung, versteht sich, um die Comoedia humana total zu entwickeln. In Anlehnung an das alte Modell des theatrum mundi wurde es Goethe paradoxerweise moglich, das ganz Aktuelle im Faust zu behandeln. In den ersten Szenen des 1. Aktes von Faust II, wo Mephisto am Kaiserhof die Rolle des Hofnarren ubernimmt und buchstablich als Narr erscheint, erweist sich der Narr als konstitutiv fur den ganzen Faust und dessen Komposition. Michail Bachtin sieht die Funktion des Narren "ausschlieBlich im VerauBerlichen" und meint, mit jenem prosaischen Sinnbild, das die Gestalt des Narren in die Literatur eingebracht habe, sei eine "besondere Komplexitat und Vielschichtigkeit" in den literarischen Text gekommen. Durch die Gegenwart des Narren Mephisto wird der hinter der Fassade verdeckte wahre Sachverhalt der hofischen Welt "verduBerlicht und veroffentlicht", was sich zunachst als Umkehrung von 'Weisheit' und 'Narrheit' auBert. Der vergnugungssuchtige, sorglose Kaiser, der das bevorstehende Karnevalsfest ungeduldig erwartet, hort dem Bericht im Staatsrat uber die Missstande des Reichs nur mit halbem Ohr zu und greift sofort zu, als Mephisto ihm einen Sanierungsplan anbietet. Die Schlussworte Mephistos, ad spectatores gerichtet, kundigen an, dass der 'Stein der Weisen', der Rat, den der Narr gab, in den Handen der echten Narren nur ein bloBer Stein bleiben wurde. Im "Mummenschanz" wird der Kaiser, als groBer Pan maskiert, von den gluhenden Goldkesseln fasziniert, die der Reichtumsgott Plutus herbeibrachte. Er schaut gierig in die Feuerquelle des GoldgefaBes, sein Maskenbart fallt, und er fangt Feuer, das die hofische Welt samt seiner ganzen Kaiserpracht zu verbrennen droht. Die Heiterkeit des hofischen Festes ist also nur Fassade, hinter der die schwerste Not des Reichs zum Vorschein kommt. Parallel zu dem langen Maskenzug, der ein sinnloses Spiel zu sein scheint, verlauft heimlich etwas Aktuelles : der Zerfall der alten, feudalen Welt im Zuge der 'neuen Okonomie', durch das Eindringen des modernen Geldwesens verkorpert. Und hier ist es wieder der Narr Mephisto, der dabei ist und diesen Prozess auslost. Vor den Prologen "Vorspiel auf dem Theater" und "Prolog im Himmel" ist noch einer platziert : "Zueignung". Dieser Prolog, in dem der Dichter in Bezug auf das zu vollendende Stuck selbst den imaginativen Schaffensprozess thematisiert, hat den Charakter einer Metafiktion, einer Dichtung uber die Dichtung. Indem die "Zueignung" vorausgeschickt wird, soll alles Folgende einschlieBlich des "Vorspiels" der Feder des 'schreibenden Narren' Goethe unterliegen, der stets die Perspektive wechselt und das Werk polydimensioniert. Wenn das genus sublime der Erzengel und das genus humile des Mephisto im "Prolog" die beiden Stilpole des Werkes bilden und dazwischen sich das Drama des unter dem Konflikt der zwei Seelen leidenden Faust abspielt, so hat Goethe das Stuck der fundamentalen Gespaltenheit des menschlichen Daseins entsprechend durchstrukturiert. Und in dieser Paradoxie der menschlichen Existenz besteht ein anderer wesentlicher Grund dafur, dass der Narr gefordert wird. Die "tragische Paradoxie, dass der Mensch nur durch den Teufel zu Gott gelangen kann", fordert den Narren. Daher kommt es, dass die Faust-Dichtung als "sebr ernste Scherze" bezeichnet wird. Die Feder des, schreibenden Narren', die mit dem Narren Mephisto durch alle Szenen gelaufen ist, kehrt das 'theatrum mundi' (Welttheater) in die 'Welt des Theaters' um und beschlieBt die ganze Faust-Dichtung, das "Vergangliche" und das "Ewige" ambigue vereinigend. Dies ermoglichte gerade die narrenhafte Perspektive des Werkes.

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