- 著者
-
山崎 太郎
- 出版者
- 日本独文学会
- 雑誌
- ドイツ文学 : Neue Beitrage zur Germanistik (ISSN:03872831)
- 巻号頁・発行日
- no.138, pp.9-26, 2009-03-25
Sowohl <Der Freischutz> als auch <Die Meistersinger von Nurnberg> hat man seit jeher fur den Inbegriff der deutschen Nationaloper gehalten und miteinander verglichen. Aber wahrend die nationalistischen Elemente der beiden Opern immer wieder hervorgehoben und im Zusammenhang mit der Problematik der Rezeptionsgeschichte diskutiert wurden, sind die textlichen sowie musikalischen Inhalte bislang kaum zum Gegenstand einer vergleichenden Analyse gemacht worden. Das ist eher verwunderlich, denn die Gemeinsamkeit der beiden Stucke fallt sofort auf, wenn man nur die Handlungen miteinander vergleicht.: So findet in beiden Stucken 1. der Handlungsverlauf innerhalb von 24 Stunden statt (1. Aufzug: Nachmittag/fruher Abend, 2. Aufzug: Nacht, 3. Aufzug: nachster Morgen). 2. In beiden Stucken muss der Held einerseits, nach dem Gesetz der Gesellschaft, in 'technischer' Hinsicht seine Meisterschaft beweisen (z.B. durch einen Probeschuss oder einen Wettgesang), um die Geliebte zu heiraten. 3. Es wird abet andererseits dieses Gesetz von einem geehrten Weisen als veraltet und unmenschlich kritisiert. Der Grund, warum diese Parallelitat eher ubersehen worden ist, findet sich vermutlich in der Tatsache, dass im <Freischutz> die Geistererscheinung in der Wolfsschluchtszene den wesentlichen Teil der Handlung ausmacht, wahrend im komodienhaften sowie realistischen Ambiente der <Meistersinger> solche ubernaturlichen Elemente nur schwer vorstellbar sind. Dieser Aufsatz zielt darauf, in der letzten Halfte des zweiten Aufzugs der <Meistersinger>, die vom dramatischen Aufbau her der Wolfsschluchtszene entspricht, zuerst die geisterhaften Elemente zu suchen, um sie auf das Menschliche zuruckzufuhren, d.h., um sie als Projektion eines Gemutszustands zu deuten; im Inneren eines Menschen haust eigentlich der Damon, der die ausserliche Turbulenz in der nachtlichen Gasse verursacht, die innerhalb einer nachtlichen Stunde (von 22 bis 23 Uhr) geschieht, genau wie die Spukerei in der Wolfsschluchtsszene (von 24 bis 1 Uhr). Betont wird das Geisterhafte im zweiten Aufzug der <Meistersinger> textlich durch Worter wie "Gespenster und Spuk", "bose Geister", "Kobold", sowie durch die Situation selbst; es handelt sich hier doch um den Polterabend genauso wie im <Freischutz> und uberdies um die Johannisnacht (d.i. die "Midsummernight" Shakespeares) mit all den Streichen, die ubernaturliche Wesen in dieser Nacht spielen. Sogar die Stadt Nurnberg gleicht in dieser nachtlichen Stunde dem Wald im <Freischutz>, mit den Tannenwipfeln nachgestalteten Giebeldachern, die den Vollmond von der schmalen Gasse abhalten und somit eine Dunkelheit erzeugen, die der mondfinsteren Nacht in der Wolfsschlucht entspricht. In den <Meistersingern> wird jedoch das Geisterhafte auch von einem Menschen manipuliert wie das Benehmen des Protagonisten Hans Sachs zeigt, der das Licht auf seinem Werktisch plotzlich ausloscht, um so eine vollige Finsternis gerade in dem Augenblick zu schaffen, als die Bewohner aus ihren Hausern in die Gasse stromen. Der damonische Eindruck dieses eigentlichen Drahtziehers der Handlung wird durch ein musikalisches Motiv, das sogenannte "Schustermotiv", verstarkt, das "melodisch in seinen Eckpunkten durch ein stachliges Tritonus-Intervall gekennzeichnet wird" (Kurt Overhoff), also durch den "Teufel in der Musik". Dieses Motiv mit seiner derben und dunklen Tonfarbe schildert nicht nur "den sauren Schweiss harter Muhe und Plage" (ebd.), sondern weist mit seinen besonders im 2. Aufzug vielfaltigen Verwendungen wohl darauf hin, wer eigentlich hinter dem ganzen Geschehen steckt. Dieser Hans Sachs namlich, der alles in der Hand zu haben scheint, ist jedoch von einer unbekannten Macht getrieben, wie er selbst am nachsten Morgen sagt: "Ein Mann weiss sich nicht Rat; ein Schuster in seinem Laden, zieht an des Wahnes Faden; wie bald auf Gassen und Strassen fangt der da an zu rasen." Sachs ist also ein vom Wahn Gefangener, der aber am Ende seines Monologs der ausseren Natur die Schuld zuschiebt: "Der Flieder war's." Ist das bloss eine rhetorische Ausrede? Nein. Denn gerade der zauberhafte Duft des Flieders war es, der im zweiten Aufzug seine Erinnerung an die gewaltige Kunst Walthers und somit in seinem Herzen "die susse Not" (d.h. den Eros, den Schopfungstrieb und zugleich die Liebe zu einem Madchen) erweckt hat. In seine Empfindung mischt sich dabei aber die bittere Erkenntnis, dass er in der Kunst sowie in der Liebe dem genialen Jungen unterlegen sei; wer "wahnbetort" versuche, ihm nachzusingen, "dem bracht' es Spott und Schmach." Seine Ahnung bestatigt sich, als Eva ihn zornig verlasst, da er uber Walther schlecht geredet hat. Dass das dem jungen Ritter geneigte Madchen trotzdem zuvor Sachs aufgehetzt hat, am Wettsingen um ihretwillen teilzunehmen, ist weder blosse Koketterie noch Kalkul, um das schlechteste Ergebnis, d.i. die Heirat mit Beckmesser, zu vermeiden, sondern ist als der Ausdruck ihres Herzens zu verstehen, das zerrissen ist zwischen dem vaterlichen teuren Freund und dem jungen Mann, der plotzlich vor ihr erschien und sie unwiderstehlich gebannt hat, wie sie im dritten Aufzug Sachs gegenuber bekennt: "Hatte ich die Wahl, nur dich erwahlt' ich mir:… doch nun hat's mich gewahlt zu nie gekannter Qual… Euch selbst, mein Meister, wurde bang'." Seine von ihm selber nicht kontrollierbare Haltung in der letzten Halfte des zweiten Aufzugs, die am Ende zu Verwirrungen fuhrt, war also der Ausdruck sowohl seiner von Evas Angst angesteckten Empfindung als auch seiner inneren Natur, die umso starker widerstand und sich Luft zu machen versuchte, als es ihm galt, "des Herzens suss Beschwer zu bezwingen." "Das Schusterlied" ist Ausdruck eines solchen Ventils. Indem Sachs nach der biblischen Episode der Verbannung von Eva und Adam aus dem Paradies satirisch den Vorwurf gegen sein Evchen macht, vernimmt man leise im Orchester jenes Entsagungs-(bzw. Wahn-) Motiv, dessen "schwermutig sinnender" (so Thomas Mann) Klang den verborgenen Sinn des Liedes andeutet, namlich das verlorene Paradies; die idyllische Zeit sei schon voruber, in der Sachs und Eva, weder durch das Problem der wirklichen Heirat, noch durch das Erscheinen einer dritten Person gestort, gemeinsam im harmonischen Einklang gelebt haben. Am Ende der zweiten Strophe dieses Liedes donnert Sachs los: "War' ich nicht fein Engel rein, Teufel mochte Schuster sein!" Die danach stattfindende Prugelei sieht gerade wie der Streich eines solchen Teufels aus, der aber in der Tat als Projektion des tobenden Innenlebens von Sachs anzusehen ist. Er nimmt doch am nachsten Morgen wieder seinen engelhaften Zug an, als er sich entschliesst, den Wahn fein zu lenken. Wie sich das Damonische nach der beruhmten Aussage Goethes ("nicht teuflisch, denn es war wohltatig, nicht englisch, denn es liess oft Schadenfreude merken") nur in Widerspruchen manifestiert, wirkt der Wahn fur Sachs, den Lenker der damonischen Kraft des Wahnes, nicht nur negativ, sondern auch positiv, namlich als schopferische Energie (ein "Wesen, das zwischen alle ubrigen hineinzutreten, sie zu sondern, sie zu verbinden schien"). Diese schopferische Energie beweist er dadurch, dass er Walther lehrt, aus seinem Traum, "des Menschen wahrstem Wahn", ein Meisterlied zu erschaffen. Gerade weil er diese Ambivalenz des Damonischen bemerkt hat, ruft er in seiner Schlussrede dem Volk zu: "Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister." Dieser Satz bedeutet namlich, dass man jetzt im Licht des Tages die gute schopferische Seite des Damons anlocken muss, in dieser Stadt Nurnberg, wo in der vergangenen Mitternacht die zerstorerische Kraft, also die boshafte Seite des Damons, getobt hat. Diesem Wunsch von Sachs/Wagner kommt jedoch eine ironische Bedeutung zu, wenn man den Lauf der deutschen Geschichte im Auge behalt: Auf das Volk in Nurnberg im 16. Jahrhundert wartet in der Zukunft der verheerende dreissigjahrige Krieg; wahrend fur Wagners Zeitgenossen mit der Grundung des Deutschen Reiches 1871, also drei Jahre nach der Urauffuhrung der Oper, Deutschlands "Sonderweg" begann, der bis zur Katastrophe des Nationalsozialismus fuhren sollte.