- 著者
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清水 純夫
SHIMIZU Sumio
- 出版者
- 名古屋大学文学部
- 雑誌
- 名古屋大学文学部研究論集. 文学 (ISSN:04694716)
- 巻号頁・発行日
- no.57, pp.15-25, 2011-03-31
Kandaules, der König von Lydien, genießt nur dann die Ehrfurcht seines Volkes, wenn er die alte Krone und das alte Schwert seines Ahnen Herakles achtet. Er wünscht aber, dass das Volk ihn auch ohne die beiden Erbstücke aufgrund seiner tatsächlichen Fähigkeiten als König anerkennt. Er führt deshalb eine neue Krone und ein neues Schwert ein. Er ersetzt sozusagen den Gebrauchswert durch den Tauschwert. Darin erweist er sich als Vorläufer kapitalistischen Denkens und ist deshalb ein Quasiprogressist. Das Volk aber erkennt den Wert dieser traditionslosen neuen Insignien nicht an und bedroht ihn. Kandaules' Stellung fängt an zu schwanken. Er braucht die Hilfe seiner Frau. Indem er Gyges ihren nackten Körper sehen und sich von ihm ihre absolute Schönheit bestätigen lässt, beabsichtigt er, seine Stellung abzusichern. Er glaubt nämlich, dass man ihn um den Besitz der absoluten Schönheit beneiden und ihn als deren Besitzer folglich hochachten wird. Dabei missachtet Kandaules den Wunsch seiner Frau, dass kein anderer sie erblicken darf, und verletzt ihr Sittlichkeitsgefühl. Diese Tat ist sicher ein schweres Vergehen, aber sie hat auch eine positive Seite:Sie kann die Beseitigung patriarchalischer Sitten und der Ungleichbehandlung der Geschlechter herbeiführen sowie das Problem lösen, dass Rhodope die Kommunikation mit Männern verweigert, zu der sie als Königin die Pflicht hat. Die Verschleierung des Gesichtes ist auch ein aktuelles Problem, wie man in Frankreich erst kürzlich wieder erleben konnte. Den Schleier mit Gewalt zu lüften, ist trotzdem ein schweres Verbrechen, eine Verletzung der Menschenrechte, und deshalb ist das, was Kandaules getan hat, ein verwerflicher Machtmissbrauch. Seine Tat ähnelt den illegalen Lauschangriffen und verborgenen Abhöraktionen durch die Polizei heutzutage. Das heimliche Beobachten durch den Machthaber ist weitaus verwerflicher als die Missachtung der Sitten, weil diese Tat zur Voraussetzung hat, dass man den Menschen als Ding behandelt. Andererseits wird sich Rhodope wegen der Beleidigung zum erstenmal ihrer Menschenrechte bewusst und will sich an Kandaules rächen. Wie bei Judith hat diese Tat ihren Grund in ihrem heftigen Zorn. Sie nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf ihre angestammten Sitten. Das heißt, sie ist von den Sitten unabhängig. Würde sie sich nach diesen Sitten richten, ließe sich ihr früheres Verhältnis zu Kandaules wiederherstellen, falls er Gyges im Kampf besiegte. Aber dieser Weg zur Versöhnung scheint ihr keinesfalls begehbar. Das zeigt, dass für sie ihre Menschenrechte Vorrang vor den Sitten haben. Rhodope facht die Begierde des Gyges nach ihr an und hetzt ihn zum Zweikampf mit Kandaules auf. Mit dessen Tod ist Rhodopes Rache befriedigt. Aber kurz nach der Trauung ersticht sie sich, um die Schuld am Gattenmord und an der Missachtung der Sitten zu sühnen und Gyges wegen seines heimlichen Beobachtens zu bestrafen. Obgleich sie sich dessen nicht bewusst ist, hat sie am Ende Kandaules und Gyges wegen ihres inhumanen Handelns verurteilt.