- 著者
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中村 靖子
NAKAMURA Yasuko
- 出版者
- 名古屋大学文学部
- 雑誌
- 名古屋大学文学部研究論集. 文学 (ISSN:04694716)
- 巻号頁・発行日
- vol.60, pp.51-83, 2014-03-31
Blaubart (1982) ist das letzte literarische Werk von Max Frisch. Das Motiv des Frauenmords, den die Protagonisten in Stiller (1954) und Rip van Winkle (1953) behaupten begangen zu haben, bleibt also bei Frisch bis zum Ende seines Schaffens ein Hauptthema. Der Blaubart-Stoff stammt aus einem Märchen Perraults und wurde auch in die erste Ausgabe von Grimms Märchen aufgenommen. Das Neugier-Verbot taucht, wie Perrault zutreffend feststellt, schon in der Geschichte von Amor und Psyche bei Apuleius auf. Die Vielzahl und die Willkürlichkeit, mit der Gilles de Rais, das Modell für Blaubart, bei der Wahl der Opfer verfuhr, übernahm das Volkslied Ulrich und Ännchen. Das Eifersuchtsmotiv tritt erst in Herders Lied des eifersüchtigen Knaben in den Vordergrund, in dem ein goldener Ring an dem Finger des geliebten Mädchens wie Desdemonas Taschentuch den Verdacht des Knaben weckt. Seine unbegründete Eifersucht verleitet ihn schließlich zum Mord an dem Mädchen. Diese verschiedenen Motive waren mit dem Blaubart-Stoff verknüpft, den Frisch seiner Erzählung unterlegte. Stiller wird wegen einer Ohrfeige verhaftet und behauptet dann im Gefängnis, seine Frau ermordet zu haben. Er wird deswegen jedoch nicht angeklagt, sondern zuletzt wegen des ursprünglichen Tatbestandes verurteilt. Während seine Aufzeichnungen mit der Verurteilung enden, beginnt in Blaubart die Erzählung von Dr. Schaad mit dessen Freispruch. Rosalinde, eine seiner Ex-Frauen, war ermordet worden, und am Tatort hatte man seine blaue Krawatte gefunden. Der Text stellt eine innerseelische Wiederholung der Gerichtsverhandlung nach dem Freispruch dar, gibt die Befragungen und Zeugenaussagen wieder, bald beim Wandern im Wald oder beim Billard-Spiel, bald in einer Bar oder in seiner Arzt-Praxis. Schaad unternimmt keinen Versuch, sein früheres Leben wieder aufzunehmen, so als halte er das gar nicht mehr für möglich. Er schreibt selbst an den Entlastungszeugen keinen Brief und verkauft seine Praxis. Ohne Richter oder Zeugen lebt er ganz allein mit sich und den Stimmen der Prozessteilnehmer, die er vernimmt. Sein alltägliches Leben nimmt vollständig die Gestalt eines inneren Gerichts an. In diesem Werk ist also nicht nur der Blaubart-Komplex verarbeitet, sondern auch das seit Kafkas Prozess bekannte Gerichts-Motiv. Über Rosalinde als Prostituierte sagt Frischs Dr. Schaad einmal, sie sei keine Nymphomanin gewesen. Die Verteidigung klingt aus seinem Munde recht unangebracht, insofern er als der Angeklagte, dessen Spitzname nicht von ungefähr "Ritter Blaubart" ist, doch viel eher selbst als abnormal oder pervers anzusehen wäre. Offenbar will er damit andeuten, dass dies keineswegs der Fall sei. In der Tat bezeichnen manche Zeugen ihn als "ritterlich" und sagen, er sei "ein Mensch, der keiner Fliege auch nur ein Bein krümmen könnte", obwohl nicht nur seine maßlose, manchmal grundlose Eifersucht in seinem ganzen Freundeskreis bekannt ist, sondern sogar eine Notiz gefunden wurde, worauf zu lesen war, dass er Rosalinde erwürgen wolle, von anderen Indizien ganz abgesehen. So wird eine große Kluft zwischen seinen heftigen Eifersuchtsgefühlen und der schließlich vollbrachten Tat sichtbar. Schaad glaubt, dass Mann und Frau vor und nach der Liebe Freunde sein können. Er behauptet, von seiner Eifersucht endlich befreit worden zu sein, als er die Gelegenheit hatte, Rosalinde mit ihren Kunden auf einem Video zu beobachten. Dadurch habe er erfahren, dass dieser Geschlechtsakt für sie "nichts mit persönlicher Sympathie zu tun hatte". - Es handelt es sich hierbei um eine Variante der verbotenen Kammer, nur dass der Beobachter der Mann ist und dass er statt der Leichen der Exfrauen den Geschlechtsverkehr seiner Exfrau mit anderen Männern mitansieht. Bei Apuleius verschwindet GeliebterAmor (Eros), als Psyche sein Gesicht beim Lampenlicht erblickt. Schaad dagegen wird, als er die Prostitutionsszene am Bildschirm verfolgt, von seinen "Vermutungen" befreit. Die Kaninchen-Episode ist eine Variante des Öffnungs-Verbots. Das graue Kaninchen unter dem Rasiermesser gehört zu den Erlebnissen aus Schaads Kindheit, an die er sich bei seiner Verhaftung erinnert. Laut "Aussage" seiner toten Mutter - bei seinem inneren Gericht melden sich auch Tote zu Wort - hatte er wissen wollen, woran es gestorben war. Aber mit den Worten: "auch Tote können sich irren", weist er ihre Erklärung zurück, denn für ihn verhielt es sich genau umgekehrt: Nicht um die Todesursache des Kaninchens ging es ihm, sondern er hatte es "aufmachen" wollen, um zu sehen, wie es kommen konnte, dass sich der zuvor so lebendige Körper nicht mehr bewegte: auch wollte er wissen, ob das Tier, das er so sehr liebte, seinerseits auch ihn geliebt hatte - schließlich hatte er es ja "Pinocchio" genannt. Dahinter versteckt sich die alte Moral von Blaubart: Man soll nicht zu neugierig sein, da man doch nirgends im Leib die Quelle der Liebe finden kann. Als Bezirk des Geheimnisses erregt die verbotene Kammer immer wieder Neugier. Für den Körper gilt das Gleiche, nicht nur in sexueller Hinsicht. Dagegen wird die Stelle der verbotenen Kammer nunmehr vom Gedächtnis eingenommen, das die Toten zum Verhör in den inneren Gerichtssaal zitiert. Im Verlauf des inneren Prozesses wird manches Neue klar: Schaads jetzige Frau hat eine Affäre mit einem anderen Mann und ist zur Scheidung entschlossen. In diesem Sinne gehört sie schon zu den Exfrauen, die Schaad zudem miteinander verwechselt, da sie für ihn ihre Persönlichkeit und Unterscheidbarkeit weitgehend verloren haben - eine Abmilderung des Blaubartgeschehens wie in dem oben genannten Volkslied. Rosalinde als Tote bzw. Ermordete besitzt dagegen Einmaligkeit. Einmal fragt sich Schaad, ob auch für sie ihre Beziehung nach der Scheidung eine, wie er sich ausdrückt, "kameradschaftliche" und "harmonische" gewesen sei. Die Frage wird nun für immer offen bleiben. Da Schaad schon seit seiner Kindheit stark unter Schuldgefühlen leidet, geht er schließlich abermals zur Polizei, um ein Geständnis abzulegen, diesmal aber in seiner Heimat. Sein Bekenntnis zur Mordtat wird jedoch von der Polizei, also in der Öffentlichkeit, als unzutreffend angesehen und Schaad sogleich wieder freigelassen. Als eigentlicher Täter war schon ein Grieche verhaftet worden. Er kann kein Deutsch und konnte also auch mit Rosalinde sprachlich nicht kommunizieren. Für ihn war die blaue Krawatte, die zu Beginn den Verdacht der Polizei auf Schaad gelenkt hatte, das Indiz für einen anderen Mann, das seine Eifersucht entfachte und ihn den Mord an Rosalinde begehen ließ - vergleichbar mit Desdemonas Taschentuch oder dem goldenen Ring im Lied des eifersüchtigen Knaben. Schaad ist letzten Endes also auch daran gescheitert, sich gegenüber Rosalinde in ein Täter-Opfer-Verhältnis zu bringen und so ein unersetzbares Korrelat in der Beziehung mit seiner Exfrau zu werden. Frisch hat in seinen Text Zitate verschiedenster Art aus seinen früheren Werken, aus eigenen Träumen und autobiografischen Tatsachen hinein montiert, sei es als Formulierung, sei es als Episode, oder indem er die Struktur der menschlichen Beziehungen übernahm. Auch das Eifersuchtsthema hatte er schon so häufig behandelt, dass er den Text einmal selbstironisch ein "Selbstplagiat" nannte. Und dem Gerichtsschwur, "nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen", stellt er den Wahrheitsbegriff von Heideggers "Lichtung" parodierend gegenüber. Denn Schaad kommt es im Halbschlaf nur so vor, als ob er im Wald wandere: in Wirklichkeit liegt er im Krankenhaus. Wie er am Ende zu Heideggers Wahrheit nicht gelangt, so ist er auch in seinem Leben gescheitert, zuletzt mit seinem Selbstmord. Ihm bliebe nur übrig, zu tun, wozu eine Stimme ihn wiederholt auffordert, und die Augen "auf-" (nicht "zu-"") zu machen, um sich der Wirklichkeit nicht zu verschließen. Frischs Blaubart-Erzählung endet mit Schaads Weigerung, seiner verfehlten Art von SeIbstbewahrung.