- 著者
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森澤 万里子
- 出版者
- 日本独文学会
- 雑誌
- ドイツ文学 : Neue Beitrage zur Germanistik (ISSN:03872831)
- 巻号頁・発行日
- no.140, pp.60-75, 2010-03-25
Ein Zugang zur deutschen Sprachgeschichtsforschung unter soziopragmatischen Aspekten ist, Eigenschaften einzelner Textsorten, die unter verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen entstanden, zu analysieren. Dabei handelt es sich um typische sprachliche Ausdrucksmittel auf verschiedenen Ebenen innerhalb einer Textsorte, die ein kommunikatives Handlungsmuster Widerspiegeln. Wenn sich kommunikative Bedingungen verandern, schlagen sich diese Veranderungen auf die Ausdrucksmittel nieder. Eine Analyse des Wandels von Texten bzw. Textsorten anhand von typischen Ausdrucksmitteln kann daher uber den Wandel eines kommunikativen Handlungsmusters Aufschluss geben. In diesem Zusammenhang soll in der vorliegenden Arbeit das Augenmerk auf "Turkenschriften" als aktuelle Berichte gerichtet werden. Im 16. Jahrhundert wurden christlich gepragte europaische Lander von der osmanischen Armee angegriffen, vor allem versetzte die "Wiener Turkenbelagerung" (1529) den Deutschen einen grossen Schock. Daher kamen viele Berichte uber die Turken in Form von Flugschriften und Einblattdrucken auf den Markt. Turkenschriften konnen also als ein furs 16. Jahrhundert typisches Genre gelten, in dem typische sprachliche Ausdrucksmittel unter Berucksichtigung des historischen und sozialen Kontextes zu untersuchen sind. Als Beispiele der Texte dieses Genres werden zwei Flugschriften aufgefuhrt: "Turckische belegerung der stat Wien" (1529) und "Tu^^erckische grosse Niderlag" (1579). Die erstere ist eine aktuelle Nachricht uber den Angriff der Turken auf die Christen. Die letztere berichtet uber den Sieg der Perser uber die Turken im Jahre 1579, d.h., sie beschreibt nicht direkt einen Krieg von Christen gegen Turken. Bemerkenswert ist, dass in den Darstellungen dieser zwei Flugschriften die Grausamkeit von Turken in den Vordergrund geruckt ist, besonders in der zweiten. Der grosste Unterschied zwischen den beiden Flugschriften liegt dagegen in der Textgestaltung: in der zweiten wurde dem eigentlichen Bericht eine Art Kommentar hinzugefugt, der fur den aktuellen Bericht uber den Krieg an sich nicht notig war. Dieser im Predigtstil verfasste Kommentar enthalt als einen der Zwecke dieses Berichts eine Ermahnung zur Busse, d.h., die Niederlage-und auch der Sieg-der Turken beruht eigentlich auf Gottes Willen. Daher setzt Gott die sundhaften Christen der Turkengefahr aus, um sie zu bestrafen. Ein soldier fur das Mittelalter typische Textabschnitt erscheint haufig in Einblattdrucken mit dem Thema "Mirakel". Dort wird aus wunderbaren Erscheinungen wie "Blutwunder" der Gotteszorn bzw. eine Warnung abgelesen. In diesem Kontext durften die "Turken" in der zweiten Flugschrift mit solchen Erscheinungen auf eine vergLeichbare Ebene gesetzt werden. Einer der Faktoren dafur, dass die Turkengefahr als ein Zeichen von Gottes Willen gait, konnte daraus erschlossen werden, dass in Turkenschriften die "Grausamkeit" zum Topos wurde. Beim Publikum, das nach einem starken Reiz verlangt, kommen grausame Darstellungen gut an. Diese Reaktion der Adressaten wird auf die Herstellung der Turkenschriften ruckgekoppelt. In dieser Hinsicht spielt die kommerzielle Absicht der Drucker fur die Fixierung des negativen Turkenbildes unter dem Publikum eine grosse Rolle. Bei genauer Betrachtung der damaligen sozialen und politischen Hintergrunde wird allerdings klar, dass von der Absicht der Drucker abgesehen auch andere Interessen mit der Fixierung des Zerrbildes zusammenhangen. Beachtenswert ist die Tatsache, dass wenigstens in den 1520er Jahren das Turkenbild nicht immer negativ ist. Zum Beispiel wird in einer Flugschrift von 1522 die Hoffnung von Leuten aus der niedrigen Sozialschicht auf die Turken erwahnt: Eine turkische Regierung konne eine Verbesserung ihrer schwierigen Lage bedeuten. Die positiven Meinungen werden jedoch allmahlich von den negativen verdrangt. Die katholische Kirche sprach damals von einer Notwendigkeit des Kreuzzugs, eines Krieges der ganzen Christenheit gegen die Turken. Unter diesen Verhaltnissen betonten diejenigen, die den Krieg unterstutzten, das Bild vom grausamen Turken, um unter dem Volk Hass gegen die Turken zu schuren und die offentliche Meinung zu ihren Gunsten zu manipulieren. Daraus lasst sich schliessen, dass an der Bildung des Topos "Grausamkeit" in Turkenschriften nicht nur die kommerziellen Absichten der Drucker, sondern auch die politischen Ziele der katholischen Kirche Anteil haben. Mit anderen Worten: die jeweiligen Absichten von Druckern und Kirche konnen also mit den kommunikativen Bedingungen, die zur Entstehung von Topos und Kommentar gefuhrt haben, gleichgesetzt werden. Das absichtlich gestaltete Zerrbild und der fur das Mittelalter typische Kommentar verschwinden mit der Veranderung der gesellschaftlichen Bedingungen aus den "Neuigkeitsberichten", die sich aufs Neue zu einer neutralen Nachricht entwickeln.