- 著者
-
林 英哉
- 出版者
- 日本独文学会
- 雑誌
- ドイツ文学 (ISSN:24331511)
- 巻号頁・発行日
- vol.164, pp.26-40, 2022 (Released:2023-08-06)
Der Roman „Heidi“ von Johanna Spyri spielt an zwei Orten: in den Schweizer Bergen und in der deutschen Großstadt Frankfurt am Main. Hier werden Natur und Großstadt deutlich gegenübergestellt. Dies wurde in der bisherigen Forschung als „moderne Kritik an der Moderne“ verstanden, weil die Natur als positiv und die Großstadt als negativ beschrieben wird. Diese Entgegensetzung erscheint charakteristisch in der Gattung der ‚Heimatliteratur‘. Die vorliegende Abhandlung fragt, ob man wirklich „Heidi“ einfach als Kritik an der Moderne verstehen kann.
Der Schwerpunkt dieser Abhandlung liegt auch auf den Krankheiten und Behinderungen der Figuren in „Heidi“, weil der Unterschied zwischen Natur und Großstadt eng mit der Gesundheit von Heidi und den anderen Figuren verbunden ist. Heidi kann nach der Rückkehr in die Berge ihre in Frankfurt verlorene seelische Gesundheit wiedergewinnen. Die Hochschätzung der frischen Bergluft in „La Nouvelle Héloïse“ von Rousseau führte im 19. Jahrhundert zur Fixierung vom gesunden Bild der Schweizer Berge, indem sie zum beliebten Ort für Bergsteiger und Touristen wurden. Dazu trug gleichzeitig auch die Einrichtung der Eisenbahn und der Sanatorien bei. Das gesunde Bild der Natur basiert auf der modernen Technik und Naturwissenschaft (Medizin sowie Ernährungswissenschaft). In „Heidi“ erscheinen der Arzt und die Eisenbahn gar nicht negativ, was zeigt, dass die moderne Kritik an der Moderne keineswegs gründlich geübt wird.
Die Natur erscheint in „Heidi“ nicht nur gesund und sanft. Ihre Gefährlichkeit wird auch durch die Kälte der Berge im Winter und die Zerstörung des Rollstuhls dargestellt. Clara, die kränklich ist und immer im Rollstuhl sitzt, überwindet ihre Gehbehinderung, nachdem sie in die Berge gekommen ist. Dies geschieht unmittelbar nach der Zerstörung ihres Rollstuhls durch Peter. An der Zerstörung des Rollstuhls beteiligt sich auch die Natur, indem er den Berghang hinunterstürzt und damit zerstört wird. Die Zerstörung des Rollstuhls drückt eine Befreiung von der Stagnation der Großstadt durch die Natur aus, aber gleichzeitig zeigt er auch die Gefährlichkeit der Natur. So verdoppelt der Rollstuhl das Bild der Natur.
Außerdem erscheint die Großstadt auch nicht nur kränklich. Heidi, die nie zur Schule gegangen ist, lernt erst in Frankfurt das Lesen. Sie bringt später in die Berge die Technik des Lesens mit, wo sie Peters sehbehinderter Großmutter Kirchenlieder vorliest. Dann sagt die Großmutter, dass es ihr hell wurde, was eine symbolische Überwindung ihrer Sehbehinderung darstellt. Heidi zwingt auch Peter zum Lernen der Buchstaben. Lesen lernen ist mit Disziplin und Druck verbunden und steht in engem Zusammenhang mit der Stagnation der Großstadt. Die von der Großstadt ausgehende Alphabetisierung wirkt sich nicht nur positiv auf die Gesundheit aus, sondern ist auch mit dem kränklichen Charakter der Großstadt verbunden. So verdoppelt die Alphabetisierung das Bild der Großstadt.
Der Rollstuhl und die Alphabetisierung gehen zwar in „Heidi“ von der Großstadt aus. Aber sie gehören nicht zur modernen Technik, so dass sie die Entgegensetzung von Natur und Großstadt relativieren können. Dies zeigt, dass es nur ein einseitiges Verständnis ist, „Heidi“ einfach als moderne Kritik an der Moderne zu betrachten. Dies könnte generell für die Heimatliteratur gelten, weil die aus der Sicht der Moderne gebildete Entgegensetzung von Natur und Großstadt die Grundstruktur der Heimatliteratur ist. Dann müsste auch die Frage danach gestellt werden, was in „Heidi“ im Vergleich zu anderen Werken der Heimatliteratur charakteristisch ist.