- 著者
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識名 章喜
- 出版者
- Japanische Gesellschaft für Germanistik
- 雑誌
- ドイツ文學 (ISSN:03872831)
- 巻号頁・発行日
- vol.83, pp.75-84, 1989-10-01 (Released:2008-03-28)
Dem Roman "Der Tunnel“ (1913) von Bernhard Kellermann begegneten zunächst die zeitgenössische Kritik und die Literaturwissenschaft wegen seines legendären Welterfolgs nicht freundlich. Weil das Werk hohe Auflagen erzielte, erkannten sie in ihm nur einen >Unterhaltungsroman<, den durchschnittliche Zeitungsleser sensationssüchtig verschlangen. Die Rehabilitierung des Werks wurde erst dadurch ermöglicht, daß der angloamerikanische Begriff >Science Fiction< im deutschsprachigen Raum seinen angemessenen Platz fand. Aber noch aufschlußreicher ist es für die Forschung, von dem von Habermas formulierten Hinweis auszugehen, daß die Erkenntnisse der Wissenschaft nur "auf dem Umwege über die praktischen Folgen des technischen Fortschritts“ in das literarische Bewußtsein eindringen können. Gerade im Blick auf diese Problematik ist das Thema >Technik und Literatur< produktiv aufzugreifen, von dessen Standpunkt aus wir uns mit dem "Tunnel“;-Roman kritisch auseinandersetzen können.Was an dem Roman das Publikum anzieht und zugleich überrascht, ist nicht der außergewöhnliche transatlantische Tunnelbau, der Europa zum "Vorort Amerikas“ macht, sondern die plötzliche Veränderung des lyrischbegabten Autors, dessen Stil durch eine impressionistische Sentimentalität geprägt war. Aber er weiß sehr gut, sich der zeitgenössischen Mode anzupassen. Als er den Roman schrieb, war bereits das Ende der großen Eisenbahnbauzeit gekommen, waren die neuen Maschinen, die Autos, Luftschiffe und Flugzeuge, bereits vorhanden, hatte sich die Tragödie der >Titanic< im Jahre 1912 überall herumgesprochen. Aus diesen Gründen mußte sich der vielgereiste Autor dem Tempo des modernen Lebens anpassen, um die zur Mode gewordene Amerika-Euphorie zu singen. Aber nicht die idyllische >Neue Welt< Amerika, sondern das "kochende, schlaflose“ New York wird hier demonstriert.Mac Allan, der vom Bergarbeiter zum Elite-Ingenieur aufsteigt, ist zielstrebig und hart genug, sein Tunnel-Projekt durchzusetzen. Er verpflichtet sich, im Zeitraum von fünfzehn Jahren einen submarinen Tunnel zu bauen, der Amerika und Europa verbinden soll. Allan ist eine Verkörperung des Ingenieur-Ideals und spielt nur eine funktionierende Rolle. Er hat eine kalte, entschiedene >Stahlnatur<, die von der Jugend bis ins Alter keine Veränderung, keine menschliche Entwicklung erfährt. In dieser Figur ist der >Tatmensch<, der für die Technik nutzbare Ingenieur-Typ, vorweggenommen.Das Tunnel-Projekt unterstützen die großen Finanzmächte, vor allem deren Vertreter Lloyd, in dem die Logik des Kapitalismus: Kostenprinzip und Spekulationslust, konkretisiert werden. Der Amerika-Roman kann deshalb als literarisierte Wirtschaftslehre verstanden werden, in der der Autor seine stereotype Auffassung von der wirtschaftlich manipulierten Gesellschaft in lebendigem Reporterstil mitteilt. Durch Zeitungsberichte ist es ihm gelungen, von der geschlossenen Gefühlswelt der Einzelnen in die Massengesellschaft einzudringen. Er konnte sogar die Technik-Euphorie mit seiner Sprache verstärken, deren Bildhaftigkeit und Analogiehaftigkeit sich der futuristischen Wortkunst anschließen. Aber es fehlt Kellermann noch an einer Ausdruckskraft, die die ungeheueren Massenphänomene wieder ins Individuum zergliedern kann. In diesem Roman werden Arbeitergruppen und viele Unbekannte nur als Material zum Tunnel-Werk dargestellt.So gesehen, geht es im Roman nicht nur um die technisch-erreichbare Zukunft, sondern um das Zeit-Bild, in dem sich Technik und Wirtschaft untrennbar verflechten und in dem die Massenmedien unbedenklich rezipiert wuerden.