著者
平松 智久
出版者
九州大学独文学会
雑誌
九州ドイツ文学 (ISSN:09145842)
巻号頁・発行日
no.25, pp.1-25, 2011

Für „eine wahre Wiedergeburt" (MA15, 174) reiste Goethe (1749-1832) 1786 nach Italien, wo er innerhalb von etwa zwei Jahren die Vision der „Urpflanzen" hatte und er „einen zweiten Geburtstag" als Künstler bzw. als Dichter erlebte. Darüber schreibt er in der Italienischen Reise (1829), die Aus meinem Leben Zweiter Abteilung (1816-17) und den Zweiten Römischen Aufenthalt (1829) enthält. Aber es ist merkwürdig, dass beide Bücher erst ein viertel Jahrhundert nach seinem Erlebnis in Italien publiziert wurden und es scheint, als ob sie getrennt wären: Während das erste als Zweite Abteilung Erster und Zweiter Teil von Dichtung und Wahrheit angelegt ist, wurde das zweite noch später publiziert und dazu mit einem völlig anderen Titel. Das weist auf zwei getrennt voneinander zu sehende Entwicklungen in Goethes Denken hin; zunächst – gewissermaßen „im besten Mannesalter" – verbindet er in Italien die Dichtung mit seinen Naturforschungen, in späteren Jahren beschreibt der alte Goethe sein eigentlich italienisches Erlebnis. Aus einer größeren zeitlichen Distanz sollte er später seinen Werdegang überblicken und selber den Unterschied zwischen dem erstem und dem zweiten Aufenthalt in Rom reflektieren. Aber warum sollte der Zweite Römische Aufenthalt so viel später als die ersten beiden Bände publiziert werden? Zum 10. April 1829 überliefert Eckermann eine Äußerung von Goethe, wonach seine Briefe, die während des zweiten Aufenthalts in Rom entstanden, mit der Italienischen Reise nichts zu tun hätten, er habe aber darin „manche Äußerungen, die meinen damaligen inneren Zustand ausdrücken" (MA19, 324) gefunden. Nun habe er „den Plan [gehabt], solche Stellen auszuziehen und einzeln über einander zu setzen, und sie so meiner Erzählung einzuschalten, auf welche dadurch eine Art von Ton und Stimmung übergehen wird" (MA 19, 324f.). Goethe schreibt also, nach eigenem Bekunden, mit seinem autobiographischen Artikel zugleich eine „Erzählung"! Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, zu erforschen, wie diese „Erzählung" genau beschaffen ist und worin ihr „erzählerischer" Charakter besteht. Der Zweck ist, den Kern seiner dichterischen Entwicklung in Italien darzustellen, und das Thema seiner „Erzählung" klar zu machen. Dazu lohnt sich auch eine Betrachtung des Römischen Carnevals (1789), weil das Buch zweimal fast ohne Veränderungen publiziert wird; zunächst 1789 sofort nach seiner Rückkehr nach Weimar und eben 1829 am Ende des Zweiten Römischen Aufenthalts. Am Anfang des Römischen Carnevals führt der Erzähler aus: „Indem wir eine Beschreibung des römischen Carnevals unternehmen, müssen wir den Einwurf befürchten: daß eine solche Feierlichkeit eigentlich nicht beschrieben werden könne" (MA3.2, 218/ MA15,572), denn „eine so große lebendige Masse sinnlicher Gegenstände sollte sich unmittelbar vor dem Auge bewegen, und von einem jeden nach seiner Art angeschaut und gefaßt werden," (MA3.2, 218/ MA15,572) – und weil „das römische Carneval einem fremden Zuschauer, der es zum erstenmal sieht und nur sehen will und kann, weder einen ganzen, noch einen erfreulichen Eindruck gebe, weder das Auge sonderlich ergötze, noch das Gemüt befriedige" (MA3.2, 218/ MA15, 572). In der Tat konnte auch Goethe den Karneval zunächst nicht „verstehen", so dass er sich auch nicht abgehalten fühlte, bald darauf nach Süden abzureisen. Die Beschreibung seines ersten Karnevalserlebnisses bildet den Trennpunkt zwischen dem ersten und zweiten Teil der Italienischen Reise. Deswegen bedeutet der römische Carneval – ein Text, den Goethe nach dem zweiten Italienerlebnis schrieb – eben einen Refocus, d.h. den Versuch, das Unbeschreibbare zu beschreiben. Dazu wird das Gleiche danach im Zweiten Römischen Aufenthalt auch das Hauptthema des ganzen Buches und gewissermaßen auch des Lebens des alten Dichters selbst. Darin besteht nämlich der „Beschreibungsversuch des Unbeschreibbaren". Darüber hinaus soll untersucht werden, was das Unbeschreibbare für ihn war, und wie er es dann doch „beschrieb". Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird der Prozess seines beschreibenden Blicks zur Einfachen Nachahmung der Natur, Manier, Stil (1789) betrachtet. Goethe glaubte, ihn unterwegs auf der Reise nach Süden gefunden zu haben und schreibt am 17. Mai 1787 an Herder: „Sie [die Griechen wie Homer] stellten die Existenz dar, wir [die Neueren wie Goethe] gewöhnlich den Effekt; Sie schilderten das Fürchterliche, wir schildern fürchterlich; Sie das Angenehme, wir angenehm, u.s.w." (MA15, 393). Der Verzweifelte habe deswegen begonnen, die Natur in Gemälden anzusehen und wiederzufinden und zu lesen (Vgl. MA15, 427), so dass die Kunst für Goethe „wie eine zweite Natur" (MA15, 464) wird. Dafür spielt seine Naturforschung eine große Rolle. Im zweiten Kapitel wird der Entwicklungsprozess seiner Naturlehre betrachtet; von Naturphilosophie, Mineralogie, Anatomie, Biologie bis zur Morphologie und Farbenlehre. Goethe glaubt an die Konsistenz der Natur, so dass er in seiner Naturforschung nicht nur Zwischenknochen des Menschen entdeckt, sondern auch den Begriff der „Urpflanzen" entwirft, deren Gedanke als „Urtyp" sich zur Idee der „Metamorphose" entwickelt. Mit anderen Worten kann man sagen, dass der Gedanke des Urtyps sich auf das „Was" in der Naturschilderung bezieht, während die Beschreibung der Metamorphose das „Wie" thematisiert; worauf der Umstand schließen lässt, dass Goethe in seiner Eigenschaft als Naturliebhaber das Wort „Urpflanzen" niemals in seiner Metamorphose der Pflanzen (1790) benutzte. Dieser Begriffsverzicht illustriert die „trübe Beschreibungsart": Man unternimmt eigentlich umsonst, „das Wesen eines Dinges" (z. B. Das Licht oder die Finsternis) auszudrücken und deshalb wünscht man durch eine vollständige Geschichte von deren „Wirkungen" im sogenannten „Trüben" (das nach Goethe zwischen Licht und Finsternis existieren soll,) höchstens das Wesen jenes Dinges zu umfassen, so dass ein Bild einem entgegentreten wird (Vgl. LA4, 3). Im dritten Kapitel wird erläutert, dass Goethe eben diese „trübe Beschreibungsart" auf den römischen Carneval angewendet hat. Dies führt er selbst in Schicksal der Handschrift aus; drei Aufsätzen, die ebenfalls 1789 entstehen, so dass der römische Carneval mutmaßlich viel mit den anderen zwei Arbeiten zu tun haben sollte. Auch befasst sich Goethe in Das römische Carneval ausdrücklich mit einem von ihm so genannten ergänzenden „dritten" zu den beiden Hauptthemen der anderen Schriften: „Wie aus dem Zusammentreffen von Notwendigkeit und Willkür, von Antrieb und Wollen, von Bewegung und Widerstand ein drittes hervorgeht, was weder Kunst noch Natur, sondern beides zugleich ist, notwendig und zuföllig, absichtlich und blind" (LA9, 62). Goethe, der Teilnehmer am Karneval, trägt auch „eine Maske" als „der Fremde" (MA3.2, 229), damit er die Wahrheit des Ereignisses aus einer kritischen Distanz erfassen kann, und er bedenkt„die wundersame Komplikation der menschlichen Natur, in welcher sich die stärksten Gegensätze vereinigen, Materielles und Geistiges, Gewöhnliches und Unmögliches, Widerwärtiges und Entzückendes, Beschränktes und Grenzenloses..." (MA15, 558). Sein Beschreibungsversuch des Unbeschreibbaren sowohl im römischen Carneval als auch im Zweiten Römischer Aufenthalt besteht darin, „den natürlichen Zustand mit dem unnatürlichsten in unmittelbare Berührung, ja zur Vereinigung" zu bringen (MA15, 558). Er versucht, „das Leben im Ganzen" (MA3.2, 250/MA15, 607) bzw. das Ganze im Leben zu begreifen und seine „Erzählung" mithilfe der „trüben Beschreibungsart" zu verfassen.
著者
平松 智久
出版者
九州大学独文学会
雑誌
九州ドイツ文学 (ISSN:09145842)
巻号頁・発行日
no.22, pp.43-56[含 ドイツ語文要旨], 2008

Goethes Faust beginnt in der „Zueignung" mit folgenden Worten: „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt." (V. 1f.) Es bleibt unbestimmt, wer zu wem spricht oder wem diese Zeilen zueignet sind. Diese Frage wird in der Forschung schon seit Langem diskutiert. In der vorliegenden Arbeit wird eine Interpretation versucht, die mit Hilfe eines zentralen Begriffs aus der Farbenlehre – und zwar des „Trüben" – nicht nur das erste Gedicht interpretiert, sondern auch die Erlösungsstruktur des ganzen Faust in ein neues Licht stellt. Für Goethe ist „das Trübe" ein „durchsichtiges" Medium der Polaritäten zwischen Licht und Finsternis oder „Licht und Nichtlicht" (d. 744). Im „Trüben" erscheinen die verschiedenen Farben, die „Taten des Lichts, Taten und Leiden" (LA I 4,3) sind. Goethe betrachtet dieses Mittel nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv und stellt es in seiner poetischen Beschreibungsart dar. Damit gliedert er „das Trübe" in die Begrifflichkeit seiner Naturästhetik ein. Was man im „Trüben" erkennen kann, ist die übersetzte Sprache der Natur. Ohne „das Trübe" könnte man nichts begreifen (Vgl. LA I 11, 244). In diesem Sinne sind „schwankende Gestalten" (V. 1) als Erscheinungen „des Trüben" in der Natur zu verstehen, die den Zuschauer ansprechen. Der Grad des Konflikts der Polaritäten ist so „unendlich" (d. 148), dass sowohl die Farben als auch die Natur bunt und lebendig erscheinen. Alle Widerspruchszustände sollen nach Goethe trotzdem in der Einheit (wie im Farbenkreis) verbleiben und sich gleichzeitig immer nach dem Ganzen steigern. Als ein solches steigerndes Prinzip wirkt „das Trübe" nicht nur an der Außenseite, sondern auch der Innenseite der Augen; nicht nur „materiell", sondern auch „geistig" (HA 13, 48). Aufgrund dieser Ambivalenz wurde Faust in Goethes letztem Brief von diesem als einer „diese[r] sehr ernsten Scherze" (WA Ⅳ49[142], 283) bezeichnet, ganz wie das Oxymoron in Goethes Beschreibung über Die Natur (HA 13, 45ff.): „Spiel, dem es bitterer Ernst ist" (HA 13, 48). Im Faust werden besondere Zeiträume des „Trüben" konstruiert, sofern das sich gegenseitig Widerstehende miteinander gleichzeitig existieren und wirksam sein kann, die Grenze von Zeit und Ort überschreitend, um nach einem Ganzen zu streben und sich zu steigern. Die Eigenschaft der trüben Welt im Faust besteht in der Gleichzeitigkeit aller Erscheinungen. Wegen ihrer speziellen Eigenschaft kann man ebenso wie die verschiedenen Grade des „Trüben" auch die Kennzeichen des „Trüben" auf anderen Ebenen im Werk beobachten. Zuerst kündigt die Szene des Erdgeistes solch eine trübe Welt an, in der Faust vergebens die „unendliche Natur" (V. 455) zu fassen versucht. Aber er vermag (noch) nicht, den Erdgeist zu begreifen, der im ewigen wechselnden Meer von „Geburt und Grab" das glühende Leben webt, denn Faust erfasst nicht die Ganzheit, sondern die Begrenztheit des Lebens. Um seine Begrenztheit zu umgehen, setzt er die Giftschale an den Mund (nach V. 736). Es entsteht die sogenannte ‚trübe Welt des Faustsʼ, die ihre Rahmenstruktur durch die Engelschöre (V. 737ff. u. V. 11676ff.) erhält. Faust verspürt eine verzehrende Sehnsucht nach dem Licht und strebt nach dem Ganzen, bis er nicht mehr seine Welt „am lichten Tag" (V.672) erleidet, sondern nach „ein[em] neue[n] Tag" (V. 701) sucht und ihn (V. 12093) auch findet. Wir können anhand der Veränderung des Lichtes im Werk beobachten, dass Faust hier die Schwelle des „Trüben" überschreitet. Nach seinem Tod wird der Tag als „Gloria von oben" (nach V. 11675) bezeichnet. Allein auch der „Nicht mehr Getrübte" (V. 12074) gestorbene Faust kann das Licht nicht direkt sehen, darüber hinaus auch nichts ohne „leichte Wölkchen" (V. 12014), nichts ohne „das Trübe" sehen. Das beweist der Ausspruch von „sonst Gretchen genannt" in den „Bergschluchten": „Noch blendet ihn [Faust] der neue Tag." (V.12093). In diesem Sinne kann man sagen, dass „Faustens Unsterbliches" (nach V. 11824) nicht aus seiner trüben Welt entfliehen kann, sondern immer dort streben soll. Mit anderen Worten: In der Bestimmung, dass der Mensch ganz und gar menschlich sein soll, und dass er aus der Sphäre des „Trüben", wo die Menschen ewig tätig sind, niemals fliehen kann, entdeckt Goethe das Licht der Hoffnung als Erlösung. Was sieht denn der „sonst Faust genannt" am Ende des Werkes in den „Bergschluchten", wenn er seine Augen vor dem „Trüben" von „sonst Gretchen genannt" öffnet? Das könnte das sein, was das „Ich" in der „Zueignung" im „Trüben" sieht. Das hieße, in dieser Tragödie kehrt das Ende zum Anfang zurück, so wie Goethe in Maximen und Reflexionen schreibt: „Das ist der glücklichste Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann" (FA 13, 16). In der „Zueignung" eignet der „trüb[e] Blick" (V. 2) von „sonst Faust genannt" sich „dem Trüben" von „sonst Gretchen genannt" zu und gleichzeitig eignet auch „das Trübe" sich ihm zu.
著者
小黒 康正
出版者
九州大学独文学会
雑誌
九州ドイツ文学 (ISSN:09145842)
巻号頁・発行日
vol.24, pp.1-26, 2010-10-08

In der abendländischen Literaturgeschichte werden bestimmte Motivkomplexe bis heute in ungebrochener Tradition nach- und neuerzählt. Dem Typ „Wasserfraugeschichte" kommt dabei eine besondere Rolle zu, da sich eine solche Sage umfassend und ausführlich mit der Problematik des Fremden befasst. Seit der Sirenenepisode in der „Odyssee" handelt es sich in diesem Überlieferungsbereich um eine Auseinandersetzung zwischen Menschen und Meergeistern. Dieser Konflikt wird in facettenreichen Geschichten dargestellt, welche die Dichotomien von Land und Wasser, Mensch und Natur, Männlichem und Weiblichem, Rationalität und Irrationalität, Verwandtschaft und Fremdheit in Szene setzen. In der Antike verfügen die Sirenen als Mensch-Vogel-Wesen über betörenden Stimmen als Mittel der Verführung. Aber im Laufe der Zeit wandeln sich die Sirenen langsam unter dem Einfluss des Christentums in ein häretisches Mensch-Fisch-Wesen um, verlieren damit ihre schönen Stimmen und locken stattdessen mit jungfräulichem Leib die Menschen ins Wasser. Dieser Überlieferungsbereich nimmt sehr lange die Stimmlosigkeit der Wasserwesen hin, bis der Fischer in Goethes gleichnamigem Gedicht „ein feuchtes Weib" singen und sprechen hört. Diese sogenannte „Ballade" ertönt, wie Baudelaire und C. G. Jung meinen, aus den Angründen des eigenen Inneren des Fischers her und sinkt in die Tiefen seines Gemütes zurück. Es handelt sich dabei um eine komplexe Erfahrung, die das neuzeitliche Ich nicht nur mit der Fremde der äußeren Natur, sondern auch mit den fremden Seelentiefen oder der inneren Natur macht. Während die Wasserfrauen seit Goethes Ballade „Der Fischer" (1778) mit jungfräulichem Leib und dem Zauber ihrer Stimme Menschen ins Wasser locken, tragen die beiden hauptsächlich im Kunstmärchen keinen mythischen Konflikt mehr aus, vor allem in Fouqués Werk „Undine" (1811), das mit dem Bild der Aussöhnung zwischen Land und Wasser anfängt und mit der ewigen Umarmung der Wasserfrau durch ihren Liebsten endet. 1811, als diese Versöhnung in Fouqués Kunstmärchen ihren Höhepunkt erreicht, kommt es in Kleists „Wassermänner und Sirenen" erneut zu einem Widerstreit zwischen Mann und Frau. Es geht um den Kampf der Geschlechter, wobei der Unterschied nicht nur körperlich, sondern auch in sprachlicher Hinsicht manifest ist. Während das männliche Wasserwesen schließlich sprechen lernt, kann das weibliche sich weder artikulieren noch überhaupt sprachlich verständigen. Seit alters her können sich in der Dichtung Wasserfrauen mit Menschen sprachlich verständigen, ob die beiden sich nun feindlich oder freundlich gesonnen sind. Bei Kleist erscheint aber das fremdere Wasserwesen nicht als redseliger Elementargeist, sondern in seiner sprachlosen Weiblichkeit. Diese weibliche Sprachlosigkeit scheint jene Epoche vorwegzunehmen, die 1837 mit Andersens „Die Kleine Meerjungfrau" einsetzte. Dieses Kunstmärchen, das unter dem großen Einfluss der deutschen Romantik steht, wirkt auf die moderne, deutsche Literatur ein, in der es dann um stimmlose oder schweigende Wasserfrauen geht. Die Kleine Meerjungfrau kann sich weder als Wasserwesen im Meer noch als Mensch auf dem Land noch als Luftgeist im Himmel mit Menschen sprachlich verständigen. So stellt Andersens Märchen das Scheitern der sprachlichen Kommunikation dar. Hier lässt sich außerdem festhalten, dass Andersens Kustmärchen sich zwei große Rollen aus dem Volksmärchen borgt, die der alten Frauen. Die eine ist eine schöne, gut erzählende Großmutter im tiefen Wasser. Sie erzählt ihren Enkelinnen von der Menschenwelt so redegewandt, dass die Kleine Meerjungfrau eine glühende Sehnsucht danach bekommt. Die zweite ist eine hässliche Hexe im tieferen Wassergrund, deren Magie der Kleinen Meerjungfrau Beine gibt. Diese überschreitet dank der Rede- und der Zauberkunst der alten Frauen die Grenze zwischen Wasser und Land, obwohl sie immer in der sprachlichen Verständigung mit Menschen versagt. Bei Andersen langt der Überlieferungsbereich der Wasserfraugeschichte an einem neuen Wendepunkt in seiner Entfaltung an. Rainer Maria Rilkes Gedicht „Die Insel der Sirenen" (1907) entsteht aufgrund seiner Rezitation vor drei Frauen auf der Insel Capri am 22. Dezember 1906. Das Gedicht ist eine Identifikation des wandernden Dichters mit dem herumirrenden Odysseus auf der Insel der Phaiaken. Das Gedicht thematisiert die wirkliche „Insel", auf der der Dichtende Gast war, und die überlieferten „Inseln", von denen „er denen, die ihm gastlich waren, [...] still berichtete". Es dreht sich um die „Stille, die die ganze Weit in sich hat und an die Ohren weht, so als wäre ihre andre Seite der Gesang, dem keiner widersteht." Diese absolute Lautlosigkeit kann man nicht sprachlich bezeichnen, so dass denn auch das Substantiv vom Pronomen "es" ersetzt wird. Das Wort ist zwar zu schreiben, aber nicht inhaltlich mitzuteilen. Als sich die singenden Wasserfrauen in ein schweigendes Wort umwandeln, entsteht die Poesie aus der Negativität der Sprache. Es handelt sich bei diesem Wandel um „die Gefahr [...] Lautlos kommt sie über die Matrosen". Dieses Gedicht läuft Gefahr, die unbeschreibliche Stille zu beschreiben. Bei Franz Kafka gibt der Traum von einer Sirene im August 1917 Anlass zum poetischen Niederschlag der Stille: „immer wieder faßte sie mich an, immer wieder schlugen von der Seite oder über meine Schultern hinweg die Krallenhände der Sirene in meine Brust". Das Mensch-Vogel-Wesen verfügt nicht mehr über die betörenden Stimmen, sondern greift nur lästig den Schriftsteller an, wobei es sich zuerst im noch namenlosen Pronomen „sie", dann im Wesen namens „Sirene" zeigt. Die unerklärliche Furcht steht, biographisch gesehen, für Kafkas Angst vor dem Eheversprechen oder für die Negation der Ehe. Hier ertönt gar nicht der Lockruf der Wasserfrau, sondern „unaufhörlich" nur Kafkas Ausruf „Nein, laß mich, nein laß mich!" Ihre Krallenhände schlagen ihm so tiefe Wunde, dass er in den Oktavheften zwischen 23. und 25. Oktober 1917 seine eigene Version des Sirenenmythos einträgt. In dem von Max Brod betitelten Text „Das Schweigen der Sirenen" geht es um „eine noch schrecklichere Waffe als ihr Gesang". Dort nimmt Odysseus seine Zuflucht zu einer doppelten Absicherung, deren Gleichzeitigkeit, Wachs und Ketten, beide jeweils unschlagbar macht. Der einfallsreiche Held wirkt bei Kafka kindlich und überheblich, ja er wird sogar zu einem einfachen Feigling, während die Sirenen kein Bewusstsein mehr haben. Im Anhang des Textes kommt es jedoch zu einer Umkehrung, Odysseus sei „so listenreich", dass sein Innerstes „mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist". Das literarische Erzählen richtet sich gern auf etwas, das absolut fremd ist, und versucht, es bekannt und erzählbar zu machen, wobei es freilich nicht immer verständlicher wird. Der unsagbare oder unerkennbare Fremde ist nun Odysseus, nicht die Sirenen. Es handelt sich um einen „Scheinvorgang" oder einer Reihe von Negationen, die die Poesie der sprachlichen Negativität entstehen lässt. In Anlehnung an Kafkas Text erzählt Bertolt Brecht von seinem eigenen Gesichtspunkt aus die Geschichte über „Odysseus und die Sirenen" (1933) nach, wobei der mythische Held wieder entheroisiert wird. „Sollten diese machtvollen und gewandten Weiber ihre Kunst wirklich an Leute verschwendet haben, die keine Bewegungsfreiheit besaßen? Ist das das Wesen der Kunst?" Der Text lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Verschwendung der Kunst, wobei er nicht nur an dem „verdammten vorsichtigen Provinzler" Kritik übt, sondern auch an einem privilegierten Stand, der die schönen Stimmen dienstfrei genießen kann. Diese Nacherzählung bringt uns nicht zur Einfühlung in den Mythos, sondern zur Auseinandersetzung mit demselben. Bei Brecht sind zwar die Sirenen nicht schweigsam wie bei Rilke und Kafka, aber den drei Texten ist es gemeinsam, dass die Sirenen nicht mehr über die betörenden Stimmen als Mittel der Verlockung verfügen. Besonders bei Brecht dreht es sich gar nicht um die schönen Stimmen, die Einfühlung und Illusion möglich machen, sondern um die Schimpferei, die kritisches Bewusstsein wecken sollte. Seine Suche nach dem „Wesen der Kunst" findet in dieser Nacherzählung ihren Niederschlag. In der modernen deutschen Literatur wird das Schweigen zum Zeichen für das, was nicht gesagt werden kann. Rilke, Kafka und Brecht wagen mit den schweigenden oder nur schimpfenden Wasserfrauen einen neuen literarischen Versuch, so dass ein poetisch viel sagendes Schweigen entsteht.
著者
日高 雅彦
出版者
九州大学独文学会
雑誌
九州ドイツ文学 (ISSN:09145842)
巻号頁・発行日
no.23, pp.43-78, 2009

Diese Abhandlung beschäftigt sich vor allem mit Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig"(1912). Und sie besteht aus den folgenden drei Kapiteln: Kapitel 1. Entstehungsgeschichte: Reise nach Venedig, Richard Wagner und Friedrich Wilhelm Nietzsche, Sehnsucht nach Jugend, Cholera. Kapitel 2. Hauptmotive: Alter und Knabenliebe, Dionysos aus der griechischen Mythologie, Tod und Cholera, Sehnsucht nach Jugend. Kapitel 3. Die zeitliche Vertikalachse in „Buddenbrooks", Die zeitliche Horizontalachse in „Der Tod in Venedig", Die Höhenachse in „Der Zauberberg". Thomas Mann untersuchte in seinem vorhergehenden Roman „Buddenbrooks" (1901) Themen wie Kunst und politische Fragen anhand des Lebens und Sterbens in einer großbürgerlichen Familie. Er ordnet diese Betrachtungen entlang einer zeitlichen Achse an, die ca. 40 Jahre umspannt. Ungefähr zehn Jahre später versucht Mann das gleiche Thema in noch kondensierterer Form in „Der Tod in Venedig" zu verarbeiten. In „Buddenbrooks" reiht Mann die Geschehnisse entlang einer zeitlich vertikalen Achse. Wenn man diese zeitliche Vertikalachse als Schlüsselbegriff zum Verständnis der „Buddenbrooks" annimmt, dann kann man im „Der Tod in Venedig" von einer zeitlichen Horizontalachse sprechen. Aschenbach, ein älterer, aristokratischer Dichter hegt verbotene homosexuelle Gefühle für den schönen Jüngling Tadzio. Trotz der Bewegung der Gefühle von Seiten Aschenbachs bleiben diese unerwarteten Gefühle nur auf einer horizontalen Ebene. In seinem späteren Werk „Der Zauberberg"(1924) kann das Schlüsselwort jedoch „Höhe" sein. Entsprechend der Höhe des Berges, so dass man dann in diesem Werk eine vertikale, horizontale und Höhenachse feststellen kann. Diese dreidimensionale Komponente stellt die Komplettierung von Manns künstlerischer Welt dar. Obwohl „Der Tod in Venedig" nur eine Novelle ist, muss sie als wichtiges Werk in Manns Schaffen angesehen werden. Ein Werk, das als Bindeglied zwischen Manns früher Phase und seiner Spätphase betrachtet werden kann.