- 著者
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岩本 剛
- 出版者
- 日本独文学会
- 雑誌
- ドイツ文学 : Neue Beitrage zur Germanistik (ISSN:03872831)
- 巻号頁・発行日
- no.130, pp.47-66, 2006-10-30
Benjamins Massenkritik in der Baudelaire-Studie gehort zu seiner Erfahrungstheorie, die seit Ende der 1920er-Jahre, wenn auch weniger systematisch als fragmentarisch, entwickelt wurde und deren Sammlung das Passagen-Werk. (1927-1940) werden sollte. Entscheidend fur Benjamins Erfahrungstheorie, die versucht, in soziologischer und geschichtsphilosophischer Perspektive den strukturellen Erfarungswandel der Moderne und dessen gesellschaftliche Bedingungen zu beschreiben, sind die Einsichten uber "Erfahrungsarmut". Nach Benjamins Diagnose, die sich explizit auf Freuds psychoanalytische Hypothesen in Jenseits des Lustprinzips (1920) beruft, liegt die "Erfahrungsarmut" der Moderne vorwiegend an der Dominanz des traumahaften "Chockerlebnisses", ein Schock, dessen Hauptursache im Konflikt von Individuum und Kollektiv im groβstadtischen gesteigerten "Nervenleben" (G. Simmel) zu finden ist. Die Erfahrung der Masse, die bei Benjamin vor allem mit einem gescharften Bewusstsein uber die Krisis der burgerlichen Intelligenz gekoppelt ist, wird als strukturelles Element der Erfahrbarkeit der Moderne hingenommen. Benjamins Erfahrungstheorie vollzieht die Analyse der gesellschaftlichen Erfahrung, der der "Mann der Menge" gegenubersteht, an einem Prufstein, in den die Hauptfrage seiner Massenkritik gemeiβelt ist: Ob und wie kann ein Individuum als "Mann der Menge" angesichts der Auflosung seiner sozialen Subjektivitat in der Erfahrung der Masse das eigene soziale Subjekt rekonstruierend zuruckgewinnen und sich in der Gesellschaft re-orientieren? Adornos massive Kritik gegen den ersten Baudelaire-Aufsatz Das Paris des Second Empire bei Baudelaire (1938) sowie dessen Umarbeitung zum zweiten Aufsatz Uber einige Motive bei Baudelaire (1939) haben Benjamin Anlass gegeben, das Bild des Flaneurs als Archetyp des "Muβiggangers" grundlich zu revidieren und im Zusammenhang der Erfahrung der Masse erneut zu konzipieren. In einer Notiz aus der Baudelaire-Studic steht: "Baudelaires Phantasie umspielt den Muβigganger. Er macht ihn zu einer Metamorphose des Heros. So setzt er ihn als Staffage in sein Fresko der Modernitat hinein"-der Flaneur als "Muβigganger" soll inmitten und anhand der Erfahrung der Masse eine heroische Metamorphose zum neuen sozialen Subjekt in der kommenden Gesellschaft erleben. Doch diese Phantasie ist nicht so sehr Baudelaires, als vielmehr Benjamins, der mit Poe eine "planvoll entstellende Phantasie" teilt; Benjamins "Baudelaire" stellt uberdies nichts Anderes als ein durch die Oepration der burgerlichen Uberlieferung strategisch konstruiertes Bild des Dichters dar. Hier lassen sich zwei parallel laufende Entwurfe in der Baudelaire-Studie beobachten: 1) Poes Erzahlung The Man of the Crowd (1840) interpretiert Benjamin als fruheste Schilderung des Flaneurs, die bereits die Figur seines Endes enthalte und aus der Benjamin kraft einer "planvoll entstellenden Phantasie" den gesamten Geschichtsverlauf der Figur des Flaneurs umreiβt; 2) diesen gesamten Geschichtsverlauf des Flaneurs laβt Benjamin seinen "Baudelaire" als Medium (im Sinne der Testperson) verfolgen, um eine politische Biographic des Flaneurs in der Zeit der Massendemokratie zu simulieren und die Authentizitat des oben genannten phantastischen Szenarios von der heroischen sozialen Verwandlung des Flaneurs zu uberprufen. Der Typ des Flaneurs ist es, der sich als "Ubergangsphanomen" (G. Raulet) an der Schwelle von Individuum und Kollektiv generiert. An dieser Schwelle treten, so Benjamins Beobachtung, die "Passagen" in Erscheinung, eine transitorische Mittelwelt, in der der Flaneur zu Hause ist. Diese Mittelwelt muss nicht nur im raumlichen sondern auch im zeitlichen Sinne verstanden werden: Sie ist namlich 1) die Mitte zwischen dem Interieur des burgerlichen Individuums als "Etui-Menschen" und der Straβe der unheimlichen amorphen Masse und 2) die zwischen der gegenwartigen Gesellschaft, wo ein starrer Konflikt von Individuum und Kollektiv herrscht, und der zukunftigen, die die Geburt des neuen sozialen Subjekts durch eine asthetisch vermittelte Durchdringung von Individuum und Kollektiv erwartet. In dieser Mittelwelt fuhrt nach Benjamins phantastischem Szenario der Flaneur einen Zweifrontenkampf aus: Der Flaneur durchbricht die Innerlichkeit als sozial bedingte Schranke der burgerlichen Subjektivitat und wiederum die verfuhrende wie trugende Vision, in eine "kompakte Masse" als monstroser Automat eingesaugt und im Rausch sich verlierend mit dieser vereinigt zu werden. Dieser Kampf als politische Aufgabe des Flaneurs soll erst damit enden, dass die "Passagen" mit der Durchdringung von Individuum und Kollektiv implodieren. In den "Passagen" kontemplativ zu verharren, wirkt, wie man anhand der Beobachtung Benjamins schon antizipieren kann, fur den Flaneur letztendlich fatal. Schon bei der Umarbeitung des Baudelaire-Aufsatzes war Benjamin die politische Aktualitat seiner Massenkritik bewusst. Doch anders als Adorno, der sie ausschlieβlich im Kontext der aktuellen politischen Situation unter dem Faschismus messen wollte, legte Benjamin sie in erster Linie an die politischen Erfahrungen der deklassierten wie depossessierten Intellektuellen seit den fruheren 1920er-Jahren an; die Masse hat das Bildungsburgertum, dem auch Benjamin angehorte, seines intellektuellen Fuhrungsanspruches enthoben und die Frage nach dem Selbstverstandnis des Intellektuellen provoziert. Anlaβlich der gescheiterten Habilitation sowie der Hinwendung zum literarischen Journalismus hat Benjamin seine vorherige Kritik gegen die burgerliche Gesellschaft politisch radikalisiert, so dass die Frage der burgerlichen Intellektuellen nach der Neudefinition der gesellschaftlichen Position und ihrer politischen Funktion immer brennender wurde. In einem derartigen Kontext wird Benjamins Massenkritik in der Baudelaire-Studie. als Demonstration einer doppelten Lekture interpretiert: Benjamin liest Baudelaire, wodurch er das Bild "Baudelaire", das zugleich sein Ebenbild darstellt, zusammensetzt; im Bild "Baudelaire" als Reflexionsmedium liest Benjamin als uberzeugter politischer Flaneur, in gewissem Sinne seinen "Baudelaire" zum Vorwand nehmend, die eigenen politischen Erfahrungen. Kurzum: Benjamins Massenkritik ist Dokument der eigenen politischen Bewusstwerdung und deren Selbstanalyse. Benjamins Massenkritik entwickelt sich vor allem in asthetischer Dimension, was ihn dem hektischen politischen Engagement der Intellektuellen entfremdet hat. Im Gegensatz zum Aktivismus der burgerlichen Linken beschrankt Benjamin sein Denken auf die "Politisierung des Asthetischen", um einen asthetischen Zugriff auf das Phanomen der Masse zu finden. Diese wird ihrerseits als latenter Zustand der groβstadtischen Gesellschaft in der Ubergangsepoche zu einer neuen Gesellschaftsformation beschrieben, mithin als "Ubergangsphanomen" wie der Typ des Flaneurs selbst. Der "schreibende Revolutionar", mit dem sich Benjamin, so scheint es, identifizieren wollte, macht es sich zur Aufgabe, die Bedingungen der Selbstwahrnehmung der Masse zu analysieren. Diese Selbstwahrnehmung ist Benjamins Ansicht nach ein asthetisch vermittelter politischer Vorgang, der von der Frage motiviert ist, in welcher Gestalt die Masse ihren adaquaten Ausdruck finden konne. Die Aufgabe des Flaneurs in der Mittelwelt ist, wie es etwa im Surrealismus-Essay (1929) heiβt, die Erzeugung des "Bildraums", in dem sich die asthetische Durchdringung von Individuum und Kollektiv ereignen soil; dieser ist, mit anderen Worten, eine vorwegnehmende asthetische Konstruktion der "kollektiven Physis", die zur Realisierung in der kommenden Gesellschaft die Gestalt des neuen sozialen Subjekts des Flaneurs benotigt. Was Benjamin aus dem simulierten Geschichtsverlauf des Flaneurs, der von jenem phantastischen Szenario seiner heroischen sozialen Verwandlung immer mehr abweichen wird, herausliest, ist jedoch die Totgeburt der "kollektiven Physis". Der Flaneur, der einmal aus dem kontemplativen Bannkreis in der Mittelwelt in die Straβe hinaustritt, wird, wie die Figur seines Endes in Poes Erzahlung schon andeutet, umgehend in eine "in sich bewegte, in sich beseelte Menge" widerstandslos eingesaugt und dann mit einer "kompakten Masse" als monstroser Automat vereinigt. Hiermit ist die heroische Metamorphose des "Muβiggangers" zum neuen sozialen Subjekt der Moderne definitiv gescheitert. Angesichts dieser Tatsache zieht sich Benjamin nun als gescheiterter "schreibender Revolutionar" mit seinem "Baudelaire" zusammen auf die Position in der kontemplativen Mittelwelt, namlich in seinem Passagen-Werk, zuruck.