- 著者
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溝井 裕一
- 出版者
- 日本独文学会
- 雑誌
- ドイツ文学 : Neue Beitrage zur Germanistik (ISSN:03872831)
- 巻号頁・発行日
- no.133, pp.209-218, 2007-10-15
"Der Rattenfanger von Hameln" ist eine der bekanntesten Sagen aus Deutschland. Nach den "Deutsche Sagen" (1816) der Bruder Grimm entfuhrte ein von den Burgern betrogener Pfeifer im Jahr 1284 am Tag Johannes und Paulus (26. Juni) eine Anzahl von Kinder und verschwand mit ihnen im Loch eines Berges, wahrend die alteren Sagen aus dem 13.-15. Jahrhundert nicht die Rattenplage von Hameln, sondern nur die Kindesentfuhrung durch den Pfeifer erwahnen. Unter der Voraussetzung, dass es sich bei der Sage um ein geschichtliches Ereignis handelt, hat man bisher bezuglich der , wahren Begebenheit" manche Hypothese aufgestellt wie die Kriegstheorie, die den Jungenverlust der Schlacht bei Sedemunde um 1260 zuschreibt (C. F. Fein 1749), die Ostkolonisationstheorie (W. Wann 1984), die den Jungenauszug der Sage auf die Immigration zur Besiedlung Mahrens zuruckfuhrt, oder die Katastrophentheorie (W. Woeller 1961), nach der die in Panik geratenen Kinder am 26. Juni 1284 in einem Teich vesunken seien. Doch die Forscher, die verschiedene Hypothesen vom Verschwinden der Kinder aufstellten, scheinen eine wichtige Frage nicht ausreichend beantwortet zu haben : Warum entwickelte sich ein geschichtliches Ereignis zu einer so eindrucksvollen Sage und wurde bis Ende der Neuzeit nacherzahlt? Im Mittelalter gab es noch andere merkwurdige Kinderauszuge, etwa der Kinderkreuzzug von Koln (1212) oder die Kindertanzwut von Erfurt (1237). Doch these Ereignisse entwickelten sich nicht zur Sage. Meines Erachtens spielte bei der Bildung der Rattenfangersage vielmehr der Volksglauben von der Sommersonnenwende (24. Juni, Johannistag) eine groBe Rolle. Denn in der Zeit der Sommersonnenwende - so glaubten die Leute fruher - tauchen die verschiedensten Damonen auf und locken die Menschen in ihre Welt, wahrend sich die Unterwelt in den Bergen offnet. Wie A. Feilhauer (2000) bemerkt, galt der Johannistag, an dem das groBe Fest fruher gefeiert wurde, nicht nur als heiliger Tag, sondern auch als gefahrlicher Tag, denn nach dem alten Volksglauben verlangt der heilige Johannes an diesem Tag drei Opfer. Manche Sagen, die uber Ereignisse am Johannistag bzw. an der Zeit von der Sommersonnenwende erzahlen, spiegeln diesen Glauben wider und beschreiben auch der Rattenfangersage ahnliche Geschichten, zum Beispiel : Zwei Madchen gingen am Johannistag zu einem Berg und begegneten dort einer schwarzen Frau, die sie in ein Erdloch lockt (A. Kuhn/W. Schwartz, 1848) ; oder es soll ein Schafer am Johannistag zum Berg gegangen und dort samt seinen Schafen im Erdboden versunken sein (J.D.H. Temme, 1840). Trotzdem scheint mir, dass es noch kaum Untersuchungen gibt, die die Rattenfangersage den mehr als 100 existierenden deutschsprachigen Sagen uber die Sommersonnenwende zuordnen. Ziel meines Beitrags ist es also, nicht das tatsachliche Ereignis hinter der Rattenfangersage von Hameln aufzudecken, sondern die Entwicklung dieser Sage im Zusammenhang mit dem Glauben von der Sommersonnenwende zu begreifen. Am Anfang dieses Aufsatzes werden die alte Rattenfangersage von Hameln aus dem 13.-15. Jahrhundert sowie die Berichte in der luneburgischen Handschrift (1430/1450) anhand Hans Dobbertins Quellensammlung Zur Hamelner Ratten-fangersage (1970) vorgestellt, und die verschiedenen Hypothesen vom Vorfall zu Hameln werden erortert. Im folgenden Kapitel werden die wichtigen Sagen und Berichte zur Zeit der Sommersonnenwende vorgestellt und mit der Rattenfangersage verglichen. Im dritten Kapitel wird uber die Entwicklung der Hamelnschen Rattenfangersage im Hinblick auf den Volksglauben vom Johannistag und die Weltanschauung des Mittelalters diskutiert. Durch den Vergleich der Rat-tenfangersage mit den anderen Sommersonnenwende-Sagen erkennt man, dass die Leute fruher wohl keine Schwierigkeiten hatten, in der Erzahlung einen Pfeifer die Rolle der Naturdamonen oder Teufeln, die in der Zeit der Som-mersonnenwende aufzutauchen scheinen, spielen zu lassen. Auch dieser Vergleich veranschaulicht, dass der Berg, in dem die Hamelnschen Kinder mit dem damonischen Pfeifer verschwanden, nicht nur der Ort irgendeines geschichtlichen Ereignisses ist. Es war der Ort, der sich am Johannistag auftut und Menschen verschlingt (F. Rostek-Luhmann erwahnt 1995 bei ihrer psychologischen Analyse uber den Einfluss der Vorstellungen vom sich am Johannistag offnenden Berg an die Rattenfangersage). Hier werde ich nicht nur die Naturanschauung des Mittelalters, sondern auch die altgermanische Totenweltvorstellung und deren Christianisierung anhand der Arbeiten von L. Petzeoldt (2002) vorstellen. Meine These in diesem Beitrag ist : Das Datum des Ereignisses in Hameln, der 26. Juni, gab Anlass, den geschichtlichen Bericht mit den Motiven vom damonischen Pfeifer sowie von der Unterwelt im Berg zu verknupfen, und damit erhielt die Hamelner Sage ahnliche Zuge wie andere Sagen vom Johannistag. Die Entwicklung der Sage von Hameln, eine Erzahlung uber das Verschwinden der Kinder durch den daemonischen Pfeifer zur Zeit der Sommersonnenwende, ist durch die Aufklarung des geschichtlichen Hintergrundes nicht vollstandig zu begreifen. Vielmehr kann der Grund ihrer Ausbildung erst verstanden werden, wenn man these Sage mit anderen Sagen zur Zeit des Johannistages, der Zeit, wenn die "andere Welt" sich auftut, vergleicht und ihre Beziehung zu Weltanschauung und Volksglauben der damaligen Epoche mit in Betracht zieht.